Eröffnungsansprache

CAM - Pedro Warnke, Valeria Heisenberg

»Cam«, Malerei von Valeria Heisenberg
4.12.2009 im Stadtmuseum Groß-Gerau

Sehr geehrte Damen und Herren,

ich begrüße Sie herzlich, die Sie gekommen sind aus Nah und Fern, zur Eröffnung der 58. Ausstellung der INITIATIVE GG.

Bedanken möchten wir uns bei Ihnen, Herr Volkmann, der Sie es uns ermöglicht haben, eine Auswahl der Arbeiten von Valeria Heisenberg hier in diesem Haus zu präsentieren.

Bei fast einem jeden Bild, dem wir hier gegenübertreten, steht im Vordergrund: »Vorsicht, Glas!«.
Ich weiß nicht, ob es mir schon jemals zuvor so schnell gelang, in Bildtiefen vorzudringen, wie bei den Bildern von Valeria Heisenberg, die hier neben mir in voller Größe steht. Dir möchte ich ganz besonders danken, dass Du Dich zu einem Gastspiel in Groß-Gerau bereit erklärt hast.

Ja, so schnell wie ich in die Tiefen des Bildes gerate, so schnell möchte ich dann eigentlich auch wieder zurück; erkenne dabei plötzlich auch meinen eigenen Standort, sehe mich selbst mit dem gesamten Vorder- und Hintergrund gespiegelt im Bild. Ich vergesse kurzweilig das eigentliche Bild, meine Eitelkeit untersucht sich selbst zunächst einmal im Bild.

Nachdem es gelungen ist, wieder die reine Betrachterposition einzunehmen, beginnt ein Verwirrspiel. Es stellen sich plötzlich unverschämt schwierige Fragen. – Wir sind sofort daran erinnert, wie oft wir doch schon Spiegelungen interessantester Art gesehen und doch ignoriert, ihnen keine gesteigerte Aufmerksamkeit geschenkt haben. Vielleicht weil aus Eitelkeit wir uns allein gespiegelt betrachten wollten.

Valeria Heisenberg spürt sie auf, die sich spiegelnde Welt; fängt diese ein. Zunächst mit Hilfe der Fotografie. Mit der Kamera wird die dreidimensionale Wirklichkeit auf eine zweidimensionale Fläche transformiert.
Und dann – schauen Sie mal genau hin – mit welch einer Virtuosität die Künstlerin die fototechnische Vorlage ins Malerische überträgt. Breite Pinselstriche, ja -hiebe sorgen für feinste Lichtreflexe und Materialstrukturen. So entstehen bei den beiden »Biennale« betitelten Bildern Glasscheiben, Glaswände, Glasarchitektur.

Wir stellen fest: »Oberflächlichkeit« ist hier neu, nämlich sinnlich deffiniert. – Die Fläche besitzt Schichten, die jeweils ein Bild bedeuten. Mehrschichtig ist sie mit Ereignissen befasst, die in unterschiedlichsten Räumen sich abspielen. Doch ein direkter Einblick bleibt uns verweigert. Der Durchblick gelingt uns kaum. Unser Blick wird permanent irregeführt, er kann die Ebenen nicht fixiert halten.

Nun sei es verraten, wie Valeria Heisenberg, die glänzenden Spiegelungen im Lack eines Autos in LA oder LKWs reproduziert. Das fotografische Bild wird in groben Umrissen auf eine grundierte Aluminiumplatte übertragen. Nach einer erste Malschicht verlässt das unfertige Bild das Atelier und gelangt in einer Autolackiererei in den Sprühnebel von Klarlack. So wandert ein Werk bis zu zehn Mal hin und her – zwischen Atelier und Autolackiererei.

Für Valeria ist das eine Angelegenheit des tiefsten Vertrauens. Denn sie muss sich darauf verlassen können, dass kein Pfusch vom Kollegen in der Lackierwerkstatt zugelassen wird. Jedesmal ein erleichtertes Aufatmen, wenn das noch werdende Bild in einwandfreiem Zustand ins Atelier zurückkehrt zur weiteren Bearbeitung .

Die Spiegelungen – das Spektakel von Räumlichkeiten, Lichtreflexen, Bewegungen, Dynamik – sind für uns in der Betrachterposition aber nicht das einzig Wahrnehmbare, am Bild Ablesbare. Mit Frau Heisenbergs Bildern wird auch Geschichte geradezu wehmütig spürbar.
Denn wer die markanten Bauwerke Berlins kennt, wer die baulichen Entwicklungen dieser Stadt ein wenig verfolgt, erkennt in verzerrten, rudimentär zitierten Architekturen der Hauptstadt geschichtliche Abläufe.

In einer Arbeit erkennen wir – noch geradeso in der kupferfarbenen Glasfassade von Honeckers "Lampenladen" – den Fernsehturm. Das Fassaden-Rasterdetail und der darin gespiegelte Turm sind heute schon nicht mehr gemeinsame Gegenwart. Diese Begegnung ist nicht mehr gegeben, denn der "Palast der Republik" ist entsorgt; ein "barockes" Schloss wird stattdessen zu stehen kommen. Ein "reaktionärer" Vorgang? – In dem Bild »Fernsehturm" ist also ein Geschehen in Gang, das junge Geschichte widerspiegelt. Der Turm steht; der Palast, von dem das Bild eigentlich ausgeht, wurde demontiert.

Du siehst, nein Du hörst, liebe Valeria, welche gedanklichen Ausschweifungen Deine Bilder auslösen können.

Beim »Panorama im Palast« zeigt sich die Bauaktivität Berlins bei glühendem Sonnenuntergang. Heimtückisch dramatisch sind hier Abbau und Aufbau, Ende und Anfang als gleichzeitiger Vorgang ins Bild gebracht. Dies ist aber nur erkennbar, wenn man weiß in welch einer Glasscheibe diese Spiegelung sich einst zeigen konnte. Nur dann ergibt sich die angedeutete Verknüpfung.

Neben solchen im städtischen Ambiente aufgespürten Motiven bist Du in jüngerer Zeit mit dem Blick der Überwachungskameras beschäftigt. In der hier präsentierten Reihe von Aquarellen, wird deutlich, dass die Perspektive von der Sicht einer typischen, heimlich agierenden Beobachterposition ausgeht. Bei »Palast grau« ist es ein wirklich trister Matsch-Wetter-Blick in das DDR-Klima, in triste Vergangenheit, in die Wirklichkeit starrender Kälte. Überwachungsgefühle überkommen einen. Nur wer schaut da, mit welch einem Interesse?

Diese Frage gibst Du hier so einfach weiter, liebe Valeria.

Pedro Warnke
4.12.2009, Groß-Gerau

 
IGG - Initiative Groß-Gerau