Pedro Warnke: Eröffnungsrede

Zur Vernissage am 14. Juli 2012

Pedro Warnke

Krzysztof Worobiec (v.l.n.r)

(Ad hoc und überlaut spricht die Gruppe wild durcheinander. Nach zehn Sekunden schweigt sie ebenso plötzlich.)

Sodann spricht nur noch einer:

Es herrscht Verwirrung – sprachliche Verwirrung.
Wir müssen uns verständlich machen – unser Spiel erklären.
Ein erstes Spiel sollte auf der Hoffläche, auf der wir hier stehen, stattfinden. Doch Ingrid Zwoch konnte nicht kommen. Sie ist beruflich verhindert. Wir können ihr Konzept nur ein wenig andeuten:
Die Wandlung einer Zeichnung mit Gras auf Gras. Über 6 Phasen sollte langsam »Der fremde Gast« sichtbar werden.

Ein weiteres Spiel, das Sie hier im Hof sehen können, nennen wir einfach »Wetterlage«. Es sind Wetterballons, die an der Längsseite des Scheunenbaus aus fünf Fenstern blicken – alle sind sie gefüllt mit von mir geatmeter Luft. Sie drohen zu platzen. Das Gebäude wehrt sich. Die Ballons sind doch eigentlich Eindringlinge, wahrhaftige Fremdkörper.

Was ist drüben an der Hütte mit dem Tor geschehen?
Der über etliche Jahre abblätternde Anstrich hat eine neue Qualität gefunden. Indem ich mit Hilfe von Ruth Krämer-Klink und Elvira Engel den noch verbliebenen Farbresten Aufmerksamkeit schenkte und einen jeden Flecken mit einem Schattenwurf versehen habe, wandelte sich das Tor von seiner maroden Funktionalität zu einer plastisch belebten malerischen Fläche. Mit einer schwarzen Schattenkontur erhielt ein jedes Reststück von Farbe seine individuelle Gestalt. Nun ist da »Tor + Color«.

Der Blick registriert in der Landschaft befremdliche Akzente.
Die Einzäunungen sind zu Ausstellungswänden geworden.
Links, auf der östlichen Seite, sehen Sie eine skulpturale Reihung:
an jedem Zaunpfosten angelehnt eine aus Papier geknäult Figur. Dem gegenüber, im Westen, ist am Stacheldraht zwischen den Pfosten jeweils eine quadratische Papierfläche angebracht. Alle Papiere sind von gleicher Größe – 84x84 cm –, und alle sind ursprünglich ein Stück langweiliges technisches Transparentpapier.

Zunächst wurden sie hier einfach auf die Wiese gelegt, also der Witterung ausgesetzt. Ein jedes Blatt wandelte sich daraufhin zu einem individuellen Bogen Papier, mit Falten, Knicken, Verfärbungen, Beschmutzungen, Risse – Verletzungen. Ich habe sie dann gepflegt; wieder glatt gestrichen; Risse und Löcher abgeklebt – und sie dann an den Stacheldraht gehängt.

In der Weise aufgereiht wirken sie wie Tücher und verlaufen in der Hügellandschaft als geschwungene Linie. Bei Sonnenschein im Westen fallen Schatten von Stacheldraht, Gräsern und Blumen rückseitig auf die Papierflächen. Es entwickelt sich ein Schattenspiel. Das Papier nimmt eine Koexistenz mit Flora und Fauna auf. Über die Papierfläche wandern sogleich Schnecken, Käfer, Spinnen, Schmetterlinge. So entsteht im Prozessverlauf eine »Papier-art«.

Unter dem Titel »Colorpoint I« sehen Sie eine weiträumig angeordnete Arbeit von Ruth Krämer-Klink. In Weiß-Blau-Rot verwendet sie Wundbinden, die sie in wechselnden Ringstärken und -folgen um die Elektromaste legt. Die Betonmaste, die hier in gleichmäßigen Abständen in der Landschaft stehen, haben damit etwas Signalhaftes und »Maßgebendes« in der Hügellandschaft angenommen und wirken wie Streckenmarkierungen.

Und zugleich ergeben Blau, Weiß und Rot als »Colorpoint II« auf dem dunklen Seegewässer eine lebendige, weniger kontrollierte Farb-Ansammlung. Ohne besondere Hilfe schwimmen Folien von einheitlicher Größe auf der Wasseroberfläche und treiben willkürlich die drei Farben immer wieder zu sich neu ordnenden Formationen.

Deutlich erkennbar ist im unteren östlichen Bereich ein in der Grasfläche angelegtes Spielfeld; angefertigt von Bernhard Engel. Insgesamt setzt er 22 Tetraeder in dieses Feld und nennt ihre Anordnung »Länderspiele«: Polen - Deutschland. All die Namen der jemals beteiligten Fußballspieler sind auf den Flächen der Tetraeder vermerkt, sämtliche Ergebnisse und Spielorte sind notiert. Die Tetraeder enthalten also eine Menge an Informationen. Doch sind diese in der hier gegebenen Aufbereitung nicht mehr greifbar. Sie erscheinen zwar als »geballte« Datenmenge: jeweils in einer Zeile übereinander geschrieben, doch in kalligrafischer Form unkenntlich gemacht. – Eines sei jedoch verraten: Polen hat mehrfach gewonnen: gegen die DDR.

Weit hinten im südöstlichen Bereich des Areals erkennen wir im Gras der Wiese und an dem davor am Seeufer aufragenden Baum als Kreuzform angebrachte Spiegelfolien. Es ist die Arbeit von Otto Ziegelmeier, die er als »Reflexion« bezeichnet.
Das Kreuz ist ein vieldeutiges Zeichen, steht unter anderem als Symbol christlichen Glaubens. Als spiegelndes Objekt im Gras liegend und im Baum sich selbst widerspiegelnd zeigt es uns Bilder der uns umgebenden Welt: den Himmel, die Wolken, die Bäume, die Blumen und auch uns selbst. Die Welt gibt sich im Kreuz zu erkennen. Spiegelbildlich.

Unter all den hiesigen bunten Wiesenblume verwundern uns hier und da einige schwarze Blüten. Fremdartig begegnen sie uns. Dabei erkennen wir auf dem natürlichen Wiesengrund den immer gleichbleibenden Aufbau: zu unterst eine Betonplatte und darauf ragt als Abbild von »Natur« aus einem schwarzen Plastik-Blumentopf ein ebenfalls schwarz gefärbtes Blumenimitat. Eine Anordnung, die als »Kunst« definiert und beachtet sein will. Jedoch sich selbst überlassen und somit dem natürlichen Kräftespiel ausgesetzt, wird sie bald schon von der frei wachsenden Vegetation überwuchert.
Die Zusammenstellung arrangierte Klaus Jourdan und nennt sie einfach »Graffiti«. Eben: Not for ever.

Pedro Warnke
Simultan übersetzte Krzysztof Worobiec

Forsthaus "Under the Angeles", Ukta/Masuren

>>> Fotogalerie IGG.39 Improvisationen

 
IGG - Initiative Groß-Gerau